Henriette Hoffmann hat mehr als 30 Jahre lang die Audio‐Forschung in Deutschland geprägt. Als gewählte Marktforscherin Radio/Audio der agma hat sie die Entwicklung der ma Audio zur Konvergenzstudie maßgeblich mitbestimmt. Jetzt zieht sich die Forschungschefin des Vermarkters RMS aus der Gremienarbeit zurück. Im Interview sagt sie, worauf es in der Medienforschung auch künftig ankommen wird.

Frau Hoffmann, Sie haben mehr als 30 Jahre in der agma die Radio- und Audioforschung mitgeprägt...

Genau genommen waren es 33 Jahre. Ich habe 1989 das erste Mal an einer Sitzung der der Mitgliedergruppe Radio/Audio, damals noch für das IPA, teilgenommen.

Was waren in dieser Zeit für Sie die wichtigsten Meilensteine?

Da gab es einige. Ein wichtiger Meilenstein war, als wir 2000 von einer Face-to-Face-Befragung auf Telefonerhebung umgestellt haben. Das haben wir mit etwa fünf Jahren Forschung vorbereitet. Damals war die sehr unterschiedliche Festnetz-Telefonversorgung in den alten und den neuen Bundesländern noch ein großes Thema – heute unvorstellbar. 2008 haben wir auch die EU-Bürger und Kinder in die Befragung bzw. Hochrechnung integriert. 2010 folgten die Nicht-EU-Ausländer. Damit konnten wir die gesamte deutschsprachige Bevölkerung ab dem Alter von zehn Jahren abbilden.

Seit 2011 erheben wir die Nutzungswahrscheinlichkeiten für Montag, Samstag und Sonntag. Das war für die werbetreibende Wirtschaft ein sehr wichtiger Schritt. Sie kann seitdem Kampagnen differenziert nach Werktagen oder Wochenenden planen.

Vor allem in den vergangenen zehn Jahren hat sich der Takt an Neuentwicklungen ja deutlich erhöht.

In der Tat. Medien verändern sich immer schneller und dynamischer. Darauf muss Forschung reagieren. Die letzten neun Jahre standen im Zeichen der Konvergenz und der Integration von Online-Audio. 2013 haben wir mit dem Testbetrieb für die ma IP Audio begonnen. Um diese Daten mit personengebundenen Daten zu verknüpfen, haben wir mit dem Online-Tagebuch quasi eine neue Studie innerhalb der Studie ins Leben gerufen. Seit 2018 gibt es nur noch die ma Audio. Mit DAB plus und in diesem Jahr mit der ma Podcast sind weitere neue Empfangswege hinzugekommen.

Wie reagiert Forschung am besten auf diese zunehmende Dynamik?

Als Forscherin muss man stets abwägen: Welche Dinge werden wichtig? Und wo muss man aufpassen, dass man es nicht übertreibt? Manche Trends stellen sich im Laufe der Zeit auch als weniger relevant heraus. Forschungsökonomie spielt eine wichtige Rolle. Es geht darum, vorbereitet zu sein, wenn Entwicklungen Markrelevanz gewinnen.

Forscher müssen also stets antizipieren, was in Zukunft wirklich wichtig werden wird und was nicht?

Genau. Man muss stets dranbleiben und schauen, welche Projekte man vorantreibt und was vielleicht erst mal auf dem großen Stapel liegenbleiben kann. Aus der Forschungs-Perspektive war zum Beispiel schon sehr früh klar, dass die Entwicklung in Richtung Konvergenz gehen wird. Es ging im Fall der ma IP Audio dann darum, den richtigen Innovations-Zeitpunkt abzupassen und zu entscheiden, ab wann wir Geld investieren. Ähnlich war es jüngst mit der ma Podcast.

Müssen sich Forscher heute mehr mit Technik auskennen?

Auf jeden Fall. Die Technik entwickelt sich immer schneller weiter. Es ist heute noch gar nicht genau erkennbar, wo bestimmte technologische Entwicklungen hinführen werden. Forscher brauchen deshalb auch immer mehr technischen Sachverstand. Auch für die eigentliche Arbeit, etwa für die Bearbeitung von Fragestellungen, brauchen wir heute Techniker. Man darf dabei aber das forscherische Know-how nicht vergessen. Das bleibt nach wie vor entscheidend.

Gibt es aus den vergangenen 33 Jahren Projekte, die Sie hervorheben würden? Auf die Sie vielleicht besonders stolz sind?

Ich sehe die Entwicklung der ma Audio als ein großes Ganzes, als ein großes Gesamtprojekt. Dabei sind mir auch die vermeintlich kleinen Dinge wichtig, wie etwa die Fragebogengestaltung. So etwas würde man wohl nicht als Meilenstein bezeichnen. Aber die Art und Weise, wie man Fragen stellt, ist für den Erfolg von Forschung genauso wichtig.

An welche Dinge erinnern Sie sich besonders gerne? An was vielleicht weniger gerne?

Ich bin insgesamt sehr froh und dankbar für diese Zeit. Ich bin vielen interessanten Menschen und tollen Forscherpersönlichkeiten begegnet, mit denen ich mich austauschen konnte.

Was hat sich verändert?

Der Umgang untereinander. Früher haben die Themen innerhalb der agma viel stärker polarisiert. Da sind auch mal Gattungen unter Protest ausgetreten, oder man hat eineinhalb Jahre um die Mitgliedschaft einer Gattung gerungen. Das ist Gott sei Dank heute etwas entspannter.

Auch, weil die Konfliktlinie heute eher zwischen den großen Digital-Konzernen und den klassischen Medien als unter den Gattungen verläuft?

Ja. Man rauft sich stärker zusammen. Das hat man unlängst auch an der Entwicklung der ma Podcast gesehen. Da haben alle beteiligten Gattungen an einem Strang gezogen.

Wie sehen Sie die Zukunft der Joint-Industry-Committees?

Joint Industry Committees sind eine tolle Sache. Wie wertvoll sie sind, können wir in den Märkten sehen, in denen es keine gibt. Aber die Ausgangslage ist heute eine andere als noch vor 40 Jahren. Die Herausforderung liegt in der Tat in der wachsenden Dominanz der großen globalen Player, die eigene Währungen durchsetzen wollen. Je größer diese Konzerne werden, desto schwieriger wird die Situation der JICs. Bei Audio haben wir es geschafft, mit Spotify einen dieser digitalen Konzerne an Bord zu holen. Diese Integration muss das Ziel bleiben. Darauf müssen alle ihre Anstrengungen richten – die Medien wie auch die Kunden.

Kaum eine Mediengattung ist so spezialisiert wie Audio. Was bedeutet das für die Zukunft der Audio- und Radioforschung?

Es wird in der Tat nicht einfacher, sondern komplexer. Wir müssen eine wachsende Vielfalt von Audio-Angeboten abbilden. Wir haben es mit immer mehr Einzel-Zielgruppen und Teilbelegungseinheiten zu tun. Es wird mehr Longtail in die Forschung einfließen müssen. Die entscheidende Frage dabei ist, was für den Werbemarkt relevant ist. Denn wir forschen ja nicht aus Selbstzweck, sondern damit wir unseren Kunden optimale Werbeflächen anbieten können. Da bin ich wieder beim Thema Forschungsökonomie. Um an den entscheidenden Stellen komplexer werden zu können, müssen wir an anderer Stelle Komplexität reduzieren.

Was bedeutet Radio für Sie persönlich? Welche Programme hören Sie?

Ich habe schon immer viel Radio gehört. Radio bedeutet für mich: Entspannung, Information und Abwechslung. Ich höre Radio morgens im Bad, im Auto und in der Küche. Aber auch als Audiomensch lese ich nach wie vor gern und viel.

Ihr Rat an Ihre Nachfolger?

Ich würde Ihnen dasselbe raten, was ich auch meinen Kindern rate: Pass auf dich auf. Schau genau hin, was wichtig ist und was nicht. Schau über den Tellerrand. Und lass dich nicht schwindlig reden.